Meine Kolumne aus dem letzten "Funktelegramm"
Die Stunde der Inselbegabten
Zu den beliebtesten Übungen von Funkamateuren gehört es, der nämlichen Freizeitbeschäftigung in regelmäßigen Abständen das Totenglöckchen zu läuten. Der Abgesang auf’s Hobby gehört offenbar ebenso dazu wie die Suche nach dem Heiligen DX-Gral. Wie oft musste ich schon „Quo Vadis Amateurfunk“ lesen?
Vor deutlich mehr als 40 Jahren, als der Verfasser dieser Zeilen „in den Club“ eintrat, hielt ein Oldtimer an (fast) jedem OV-Abend flammende Reden gegen SSB. Die gegeißelte Modulationsart sei ausweislich geheimnisvoller wissenschaftlicher Erkenntnisse geeignet, den OM in kürzester Zeit zum Dauerkunden des HNO-Arztes zu machen. SSB, so erfuhren wir entsetzten Jungspunde, die gerade für die Prüfung büffelten, führe unweigerlich zur Taubheit. Weswegen CW der Vorzug zu geben sei. Alles andere, das kam noch obendrauf, habe mit Amateurfunk nur am Rande zu tun. FM, AM, RTTY – alles Teufelszeug. C-Lizenz? Igitt! Das Ende des Amateurfunks sei nah, da gehe kein Weg dran vorbei.
Nun haben wir gelernt, dass das apokalyptische Schwadronieren schwerlich mit der Realität in Einklang zu bringen war (und ist) und Funkamateure gibt es mehr als 40 Jahre später immer noch. Wenn auch der Altersdurchschnitt der Operateure allmählich eher an einen Seniorenclub als an eine Gemeinschaft innovativer und wissensdurstiger junger Menschen gemahnt. Der besagte Oldtimer ist längst von uns gegangen und einig waren wir uns damals, dass Inselbegabungen nicht eben förderlich sind, um aus der Freizeitbeschäftigung mehr als nur ein paar Stunden Spaß herauszuholen.
Wir haben unablässig gelernt, haben zugehört, respektvoll. Haben verstanden, dass diese Hobby mehr ist als „gehörschonendes“ CW auf 80 und 40mtr. Und dass man etwas „tun“ muss, den Grips bemühen, will man es in RTTY oder SSB oder EME zu „was bringen“. Haben an der Clubstation an Contesten in allen erdenklichen Betriebsarten und von 160m bis 10 GHz teilgenommen – und immer was dazu gelernt, auch aus unseren vielen Fehlern. Weil wir wollten und weil wir es konnten und weil wir zuhörten bei denen, die es konnten. Neudeutsch würde man in gepflegtem Coaching-BlaBla davon sprechen, dass wir „breit aufgestellt“ waren und es heute auch noch sind.
„Heute“ ist mein Stichwort. Nein ,ich werde jetzt (noch) nicht in das „Quo Vadis“-Geraune einstimmen. Wer im Sommer 2022 - wo auch immer – von 160m bis 23cm unterwegs ist, der wird i.d.R. mit Rauschen konfrontiert. Es sei denn, man begibt sich auf die Frequenzen, die weiland K1JT mit WSJT-X für FT8, FT4 etc. setzte und die Diskussionslos akzeptiert wurden. Dort herrscht Getümmel, rund um die Uhr und eine krude Mischung aus Respekt- und Ahnungslosigkeit. Womit wir wieder bei den Inselbegabungen sind und – erstaunlich genug – bei dem, was der eingangs erwähnte Oldtimer damals postulierte: nur wer mit der Hand klappert, der ist ein echter Ham. Freilich wurde die Taste längst gegen die Maus getauscht und da liegt der Hase im Pfeffer. Wer CW macht kommt nicht umhin, das Hirn einzuschalten. Wer die Maus klickt, überlässt das Denken der angeschlossenen Blechkiste nebst allerlei Algorithmen.
Ein Beispiel: dieser Tage, obwohl reichlich mit Großfeldern und DXCC auf 6 und 2 Meter gesegnet, beschloss der Schreiber dieser Zeilen, nach längerer Zeit und kurz vor dem Maximum der Perseiden, mal wieder und mit Spaß an der Freude Meteorscatter auf 144 MHz zu machen. 99% aller Kieselfunker nutzen mittlerweile MSK144, ein weiteres Derivat aus der schier unerschöpflichen Schatzkiste von K1JT bzw. WSJT-X. Alles tummelt sich in diesem Beispiel auf 144.360 MHz. Was sich da freilich unterdessen offenbart ist, ähnlich dem FT8-Theater bei 144.174 MHz, ein unablässig sprudelnder Quell hirnrissigen Schwachsinns. Wer CQ ruft kann jede Wette eingehen, dass reichlich taube Nüsse aus dem Umkreis von 50 bis 200 Km völlig sinnbefreit antworten. Diese Vögel mit der Gartengroundplane findet man selbst im EME-Segment in JT65, ihre unbemannten Roboter-Stationen dominieren das FT8-Geschehen von KW bis UKW. CQ DX, CQ NA, CQ SA – egal was der Monitor ausspuckt, es wird per Hand oder automatisiert drauflos geklickt, es geht zu wie beim Moorhuhnschießen. Sinn und Verstand stören da nur.
Ans Programm kommt man eben mit ein paar Klicks, zack ist das auf dem Rechner und zack wird losgelegt. Mal ein Handbuch lesen, lernen was Meteorscatter oder EME oder DX-Betrieb ist, sich einarbeiten in Ausbreitungswissen auf KW oder UKW? Woher denn. Jemanden fragen oder zuhören, von dem bekannt ist, dass er weiß wie es geht? Viel zu anstrengend. Die Inselbegabung reicht mit Ach und Krach für die oben beschriebene Schritte aus Download und dem Aufrufen des Programms. Betriebstechnik ist was für Looser.
Das alles scheint mir in vielen Bereichen erstaunlich deckungsgleich zu sein mit dem allgegenwärtigen Nutzerverhalten bei Facebook, Instagram, Twitter et al.. Wer in den Abgründen der (a-)sozialen Medien unterwegs ist findet reichlich Parallelen zum dem, was der Amateurfunk in Teilen geworden ist, ja was in vielfach schon dominiert. Respektlosigkeit, Egozentrik, Beratungsresistenz und, auch das muss man festhalten, eine brisante Mischung aus Faul- und Dummheit. Das alles in Tateinheit mit einem Dachverband, an dem diese Entwicklung offenbar spur- und achtlos vorübergeht. Der sich nicht einmal entblödet, im Jahr 2022 festzustellen, dass es nun an der Zeit sei, sich auch mal in den „Neuen Medien“ (sic!) zu engagieren. Jahre zu spät, um die noch zu erreichen, um dies es u.a. und künftig geht und denen die Existenz eines „Dachverbands“ völlig unbekannt ist oder gepflegt am Sitzfleisch vorübergeht.
Ein gesellschaftliches Problem, dass nur seine Auswüchse auch in unserem Hobby zeigt? Gut möglich. In Abwandlung eines berühmtes Zitats von Bill Clinton stelle ich fest: It’s the education, stupid. Wer denen, die vielleicht schon bald mit der neuen „Einsteigerklasse“ eine Lizenz in der Hand halten, etwas beibringen will, hat viel zu tun. Denn wenn die Generation „Inselbegabung“ einmal da ist und dominiert, kommt man an der Frage „Quo Vadis Amateurfunk?“ wohl doch nicht vorbei. Nicht nur, aber auch, um zu vermeiden, dass der Amateurfunk im Mausklick-Wahn untergeht. Ob das der Dachverband dann noch leisten kann? Ich bezweifle es.